Foncebadon nach Ponferrada
Die eigentliche Etappe heute heißt Santa Catalina de Somoza nach El Acebo de san Miguel.
Ich bin aber schon in Foncebadon, da ich vorgestern etwas weiter gelaufen bin.
Bis zum regulären heutigen Tagesziel sind es also nur noch 11km. Die sich dann anschließende Etappe hat nur schmale 16km und so werde ich versuchen, den heutgen mit Tag mit T+48 abzuschließen und bis nach Ponferrada zu kommen.
Gegen acht Uhr los, Wetter, Schmerzen und Gegend wie immer.
In der Herbege kaufe ich noch eine große Flasche Wasser und bedanke mich, denn es war schön hier. Sauber, gemütlich, nett, Essen gut (ich hatte abends zwei kleine Minutensteaks mit Salat) und konnte Bier aus dem Kühlschrank nehmen gegen einen Euro je Dose. You are welcome, sagt der Hostelliero beim Abschied. You are welcome ist die englische Fassung von "sehr gerne" oder "gern geschehen" oder so. Der Spanier sagt dazu "de nada". You are welcome würde wörtlich übersetzt "Du bis willkommen!" heißen. Und auch wenn das hier so benutzt wird wie bei uns ein "Hallo wie geht´s" ohne das den Fragenden in den meisten Fällen die ehrliche Antwort auf die Frage wirklich interssiert oder man sie gar hören möchte, so klingt es doch sehr gut und ist hier durchaus ehrlich gemeint. You are welcome. Ich finde das ist eine tolle Ansage und wie schon erwähnt, ich fühle mich tatsächlich willkommen. Das ist auf dem Camino überall bisher so gewesen. Ich hatte noch nie den Eindruck, nicht willkommen gewesen zu sein, auch wenn ich vielleicht mal nicht zur Gruppe gehöre. Die Gruppen verändern sich sowieso bald täglich. Wenn ich an Restaurants in Deutschland denke, dann würde sich eine Einzelperson, völlig ungeachtet der wirtschaftlichen Interessen des Wirtes, immer an einen komplett freien Tisch setzen und damit in der Regel drei weitere Plätze "blockieren". Niemals oder in nur extrem seltenen Fällen würde sich ein einzelner Gast zum Beispiel an einen Tisch setzen, an dem ein Pärchen sitzt oder eine Gruppe. Man geht dabei zunächst grundsätzlich davon aus, an diesemTisch eben nicht willkommen zu sein. Und so ist es in der Regel vermutlich auch. Auf dem Camino ist das anders. Selbst wenn der Tisch voll ist, wird zusammengerückt und man wird herbeigewunken. Willkommen eben. Und in den Küchen der Herbergen, ganz egal ob groß oder klein, werden die Tische zunächst gefüllt, bis ein neuer begonnen wird. Niemand käme hier auf die Idee, sich alleine an einen leeren Tisch zu setzen, es sei denn, er will aus persönlichen Gründen seine Ruhe haben.
Ich stapfe also los, bergauf und bergab. Im späteren Nachmittag erreiche ich Ponferrada. Ich bin bereits über die Brücke zur Stadt, da sagt mein Pilgerführer ich soll einfach der Hauptstraße nach bis zu einem Kreuz auf der Straße und dann rechts. Kurz darauf endet die Hauptstraße in einem Wohngebiet. Über mir eine große Brücke. Hätte ich die nehmen sollen. Darf ich auf der überhaupt laufen? Wo sind die anderen Pilger? Ich warte einen Moment, aber es ist niemand sonst zu sehen. Auch keine Markierungen. Zurück oder weiter? Ich erblicke in der Ferne ein kleine Fußgängerbrücke über die einspurige Bahnlinie die zwischen mir und der Stadt liegt und beschließe: Hauptsache erst mal rüber und dann durchfragen. Nach ein paar hundert Metern bin ich rüber und komme an ein großes Gebäude. Ein Großraumtaxi schneidet mich und ich muß außen herum. Aus dem Augenwinkel sehe ich zwei Leute aus dem Taxi austeigen und Rucksäcke heraus nehmen. Aha. Ich gehe wieder um das Taxi herum und lese die große Aufschift unter dem wirklich großen Jakobuskreuz: Albergue. Angekommen! Danke Jakobus. Das war nun offenbar der kürzere Weg. Wie sich später zeigt, scheint das auch die einzige Herberge in der ansich großen Stadt zu sein und der reguläre Weg hätte zunächst zur Kirche in der Innestadt geführt. Es ist ein großzügig angelegtes Areal mit großem Garten, vielen Sitzgelegenheiten, großer Küche, sauber, heißes Wasser, kleine Zimmer mit je nur drei Bunkbeds. Ich setze mich zu den Hostellieros und warte bis ich dran bin. Vor mir stehen kleine Zinnbecher und zwei große Krüge, einer mit Wasser und einer mit Eistee. Ich habe wirklich großen Durst und trinken sofort zwei kleine Becher Eistee. Dann checke ich ein. Die Übernachtung ist gratis aber es wird um Spenden gebeten. Ich gebe 5,-. Am Getränkeautomat in der Küche vorbei ziehe ich eine Cola und ein Bier und gieße beides sofort rein. Dann aufs Bett geklettert und erstmal eine gute Stunden gelegen. Mit im Zimmer ein junger Mann aus New York, USA. Er hat die gleiche Strecke wie ich hinter sich, jedoch in nur 21 Tagen.
Der Weg heute war hart, sehr hart. Gut das ich gestern abgebrochen habe. Ich bin immer wieder aufs Neue überrascht, dass der bunte Mix an Menschen diesen Weg hier geht. Nun weiß ich nichts über die Vorgeschichten, wer Sportler ist, wer vielleicht auch einfach kürzerer Etappen geht und so weiter. Aber ich komme hier an meine Leistungsgrenze. Heute ging es oft bergauf und eigentlich den ganzen Tag bergab. 800 Höhenmeter laut Führer zum Teil über nackten Felsen und Geröll. Die letzte Stunde hatte ich nichts zu trinken mehr, aber es waren auch schon gut drei Liter drin. Am Ortseingang ziehe ich an einem Automaten noch einen halben Liter Wasser. Mir ist schummerig und ich kann einfach nicht mehr.
Ich erinnere mich gut an Karfreitag. Morgens um halb zehn bin ich in Haan los in Richtung Opladen. Einen Rucksack mit 13kg (u.a. Steinen) auf dem Rücken. Bis Leichlingen ging gut und ich war pünklich dort. Dann kam Sandra und wir gingen die restliche Strecke gemeinsam. Wir haben uns ein bisschen in Leichlingen verlaufen und die Schilder widersprachen sich in den Entfernungsangaben nach Opladen. Meine Füße fingen an zu schmerzen und die Lenden. Der Rücken machte sich bemerkbar. Rein rechnerisch sollte ich in dreieinhalb Stunden (ohne Pause) an St. Remigius sein. Also mit Pause gegen 14:00 Uhr. Tatsächlich waren wir aber erst nach vier dort. Ich konnte mich kaum noch bewegen und humpelte der Wupper entlang vor mich hin. Der Weg war natürlich deutlich weiter als geplant, weil ich falsch gelaufen war. Als ich die Elsbachstraße vor mir erblickte und wusste, wo ich nun war, machte sich Ernüchterung breit, denn es war noch ein ganz schönes Stück. Später erblickte ich dann die Kirchturmspitze und da ging es mit mir durch und die Tränen rollten. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen vergleichbaren Moment erlebt zu haben. Wir erreichten die Kirche und gingen rein. Die Messe war noch dran. Danach zum Bahnhof und nach Hause. Dort musste ich mich erstmal erholen und es dauerte den ganzen Samstag noch, bis ich wieder einigermaßen fit war. Das war eine ordentliche Mutivationsbremse. Jedoch war der Moment, in dem ich die Kirchturmspitze von St. Remigius erblickte einfach nur erhebend. Wenn es auch nur ansatzweise ähnlich wird, wenn die Kathedrale von Santiago am Horizont vor mir auftaucht, dann ist es das wert. Mut macht mir auch, dass die anderen das schaffen. Es ist nicht klar, was diese Leute antreibt. Für einige ist es Party und Spaß, für andere steckt mehr dahinter. Ich hoffe, dass ich morgen mit neuer Kraft aufwache und das Tagesziel erreiche. Zumindest soll es Morgen weitgehend ohne auf und ab sein. Besonders kurze oder einfache Etappen sind nicht mehr zu erwarten und nach der heutigen Erahrung, werde ich auch nicht mehr den Versuch machen, mehr als die Vorgabe aus meinem Führer zu laufen. Immerhin habe ich bereits zwei volle Tagesmärsche eingespart.
Bis Santiago, meinem Hauptziel, welches ich auch mit blutenden Füßen, auf allen Vieren und schlimmstenfalls mit den Zähnen vorwärtsziehend zu erreichen versuchen werde, sind es insgesamt 34 Tagesetappen mit insgesamt 771 km. Heute war der 23. Tag und ich habe 562km hinter mir und noch 209km vor mir. Nach aktuellem Plan sind das noch 9 Tagesmärsche bis Santiago. tatsächlich geplant waren 40 Tage mit je rund 25 km. Dies beinhaltet die Fortsetzung der Reise bis nach Fisterra, dem Ende Europas. Jedenfalls dem spanischen Ende. Dann kommt nur noch Ozean und irgendwann Amerika. Mal sehen, wie die physische Gesamtverfassung ist, nachdem ich Santiajago erreicht habe.
Nachdem ich also Ponferrada erreicht habe und mich eine Stunde hingelegt habe, suche ich den Supermarkt. Ein Dia (sowas wie eine Rewe). Mit Einkaufswagen! Boah ey, einen Einkaufswagen habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Ich nehme also einen Einkaufswagen und schiebe langsam durch die Gänge. Grundsätzlich träume ich schon seit vielen Tagen von einer leckeren Bolognese und dazu Schraubennudel. Dazu bedarf es drei grundsätzlicher Gegebenheiten:
Erstens muß die Herberge über eine Küche verfügen, die mindestens zwei Töpfe beinhaltet und zwei Herdplatten.
Zweitens muß ein ausreichend großer Supermarkt in erreichbarer Nähe sein, damit ich frisches Rinderhack und die sonstigen Cerealien bekomme.
Drittens muß ich die Herberge vor 17:00 Uhr erreichen, damit nach einer Stunde ausruhen und einkaufen nicht nach 20:00 Uhr ist, denn sonst bin ich erst kurz vor Schlafengehen (22:00 Uhr ist überall Bettruhe und Licht aus) mit dem Essen fertig und muß dann mit vollem Bauch ins Bett. Die Uhrzeit kann ich sicher gut beeinflussen, der Rest ist eben Glücksache. Heute wäre der perfekte Tag dazu, weil alles stimmt, bis auf die vierte Komponente, die mir heute erst bewusst wurde: Die persönliche Komponente. Zwar hätte ich weiterhin Appetit auf Bolognese, jedoch ist mir flau. Ich nehme an es ist die Erschöpfung. Ich möchte eher etwas leichteres und auch nicht so viel. Neben Wasser und Saft für Morgen kaufe ich noch eiweishaltige Müsliriegel und ein Paket mit einem Dutzend kleiner Kuchen. Außerdem Taschentücher, Sonnencreme und eine Art Leukoplast aber eben eine spanische Supermarktmarke. (Exkurs: Alles Mist! Leukoplast ist das einzig ware. Alle anderen Marken, egal ob aus der Apotheke oder dem Supermarkt, sind einfach nur Klebebänder und eignen sich allenfalls zum Verschließen eines Briefumschlages, sofern dieser keinen wichtigen Inhalt verbirgt. Diese Erfahrung habe ich unter Schmerzen erlaufen!). Für das Abendessen gibt es nun ein Paket mit 6 Eiern (drei für in die Pfanne und 3 hartgekocht für den morgigen Weg), eine Flasche Rotwein, ein Paket Saft und 500g Rinderfilet in dünnen Scheiben. Den Saft trinke ich noch vor dem Supermarkt aus. In der Küche stellt sich dann heraus, dass die Eier schon gekocht sind. Also echt jetzt. Was die hier so verkaufen! Also gab es nur das Rindfleisch und etwas Wein. Danach noch in den Garten, die Wäsche aufgehangen und ein bißchen getextet.
Hier mal ein paar Bilder, wie Pilgerfüße nach ein paar Wochen aussehen:






Und hier noch ein bißchen Gegend:




