25.6.2018
Ligonde nach Ponte Campana

Ab sechs Uhr kann ich die Pilger hören und teilweise auch die Köpfe sehen, die auf dem Weg in ca. 30m Entfernung vorbeiziehen. Ich wechsel meine Position etwas mehr um den Baum herum, um eventuellen Blicken und der aufgehenden Sonne auszuweichen und bleibe bis kurz vor zehn liegen. Wie sich später zeigt, bin ich ca. 1km vor Ligonde. Ich bin des Nachts von Portomarin also ca. 8km alleine und 8km mit den anderen dreien gelaufen und somit nur noch 8km von dem heutigen Etappenziel Palas de Rei entfernt. Das ich dort nicht bleiben werde ist jetzt schon klar, aber ich begebe mich nach kurzem Frühstück und ruhigem packen gemächlich in den Pilgerstrom, der noch erträglich ist. Ich komme bis Mamuria ca. 2km vor dem Etappenziel und kehre dort in einer Bar ein. Der Darm und der Magen waren der Meinung, es ist Zeit. Es gibt zwei Spiegeleier mit Bacon, Brot und Cafe. Außerdem eine Steckdose in Tischnähe. Ich esse nutze die sanitären Einrichtungen und lade während dessen den Akku meiner Schreibmaschine. Eine Dusche gab es heute Morgen nicht, aber ich war ja gestern Abend ausgiebig baden und habe danach nicht mehr sonderlich geschwitzt. Die Wäsche wird knapp. Mal sehen wo ich waschen kann. Ich  opperiere noch eine neue Blase und dann geht es wieder los. Palas de Rei ist schnell erreicht. Ich treffe Jürgen, der deutsche Sprortler, den ich schon ein paar mal erwähnt habe und der sich immer freut wenn er mich sieht. Ob der wirklich Jürgen heißt weiß ich nicht, aber aus Gesprächen mit anderen habe ich das mal so entnommen. Ich gehe einmal durch die Stadt und stelle fest: Nix besonderes und kein Aufenthaltswert. Mein Tagesplan sieht sowieso anders aus. Also gehe ich in den nächsten Supermarkt und kaufe großzügig ein und danach in eine Herberge und will fragen, ob ich dort waschen darf. Die Anmeldung ist ungewöhnlicherweise in der ersten Etage. Um dahin zu kommen muß ich an dem Waschraum vorbei. Ich gehe davon aus, dass die durch diese Kostellation lästigen Fragen wie der meinen aus dem Weg gehen wollen und betrachte diese daher als positiv beantwortet. Da niemand im Waschraum ist, hole ich meine Wäsche aus dem Rucksack und ziehe mich bis auf meine Schlafshorts aus. Alles rein, vier Euronen hinterher und 30 Minuten warten. Fertig. Die Wäsche ist sauber und gut geschleudert, den Rest macht die Sonne. Ich verlasse die Stadt und finde in ein paar km Entfernung einen kleinen Wald etwas oberhalb des Camino, der sich als Rastplatz für die nächsten Stunden zu eignen scheint. Dort hänge ich meine Sachen in die Bäume, lasse mich auf einem Stapel Holzstämme nieder und richte mich häuslich ein. Der Plan ist, dass ich heute Abend bis Melide komme. Das ist ungefähr die Hälfte der morgigen Etappe. Leider ist die Sonne weg und eine dichte Wolkendecke hat sich breitgemacht. Es sieht nicht so aus, als würde sich das wieder ändern. Es ist zwar nicht kalt, aber es sieht sehr nach Regen aus. Da das grundsätzliche Tagesziel bereits erreicht bzw. überschritten ist, mache ich mir keine weiteren Gedanken. Es ist erst Nachmittag und ich will noch ca. 10km gehen und bis zur Nacht sind noch viele Stunden Zeit. Mal sehen, wie das Wetter dann ist. Und wenn ich nass werde, dann werde ich eben nass. Dann gebe ich meinen Plan vom draußen schlafen ggf. auf und kehre doch in eine Herberge ein. Nach knapp zwei Stunden Pause packe ich zusammen. Die Wäsche ist noch feucht und so befestige ich alles außem am Rucksack. Sieht sicher lustig aus, aber wird für die Wäsche besser sein, als im Rucksack.
Nach einer ganze Weile wandern, alleine durch menschleere Wege und Gegenden schmerzen die Füße und mit Blick auf den Kilometerstein 55 beschließe ich, die nächstbeste Schlafgelegenheit wahrzunehmen. Es ist immer noch eine geschlossene Wolkendecke und feuchte Luft. Gelegendlich leichter Fissel. Reicht aber nicht um nass zu werden. Schwere Entscheidung. Die Anforderung an den Schlafplatz heute: etwas abseits vom Weg, also nicht einsehbar, möglichs eben und nicht zu hohes Gras, trockener Grund und in unmittelbarer Nähe ein Zufluchtsortes, falls dess Nachts ein starker Regen einsetzen sollte, dass ich mich ins trockene setzen kann (Bushaltstelle, Stall, Vordach oder so). Gestaltet sich nicht so einfach. Es ist eine Villengegend mit Industrie. Langezogene Straßen und Heide, alles bewirtschaftet. Ich finde eine Bar mit Biergarten, die schon geschlossen hat. Ideal. Aber leider mit Kameras ausgestattet. Auch wenn die vermutlich nicht laufen, ist mir das zu blöd. Schlieslich will ich nicht nur liegen und schlafen, sondern noch Abendessen und ein bischen chillen. Daneben ist ein verlassenes Möbelhaus, eignet sich aber auch nicht. Ich gehe weiter durch die Heide. Hier ginge es, aber Unterschlüpfe gibt es hier nicht. Und gemütlich ist das auch nicht, da es windig ist und wer weiß, was für Getiers in dem Gestrüpp unterwegs ist. Also weiter. Och man, gestern der Platz war so toll und ich habe keine Lust zu suchen mehr. Rechts von mir ist die Schnellstraße, links von mir Industriegebiet. Ich erkenne ein Silo von WEBER (Putzhersteller). Vor mir liegt ein Park. Englischer Rasen und kleine Hecken die die Wege einrahmen. Ok, das ist zwar unromantisch, aber für ein paar Stunden Schlaf wird es reichen. Und wenn ab fünf oder sechs Uhr die ersten Pilger kommen, dann mache ich mich halt auf und bin eben mal früh unterwegs. Kurz bevor ich den Park erreiche sehe ich auf der anderen Seite der Schnellstraße ein großes Jakobskreuz in einer Art Parkanlage. Ok, das sehe ich mir noch an. Die Anlage scheint eine Gedenkanlage zu sein. Viele Gedenksteine mit hunderten von Namen. Gegenüber das Seat Autohaus M. Leiva, die noch offen haben, und mitten in der Anlage ein Hochkreuz, ein einfacher Holzaltar und ein Dutzend Holzbänke. Offenbar werden hier gelegendlich Messen oder Andachten abgehalten. Orden de Camino steht auf den wappenähnlichen Schildern. Der Boden ist ebend, trocken und fest. Das Gelände durch Kirschlorbeerbüsche befriedet. Es wirkt etwas ungepflegt und war mit einer Kette abgesperrt, da scheinbar die Einfahrt neu gepflastert wird. Kann also sein, dass Morgen in aller Frühe hier gearbeitet wird. Egal, ich bleibe.

Links von dem Altar bereite ich mein Lager und rechts das Abendmahl. Brot, Wurst, Käse, Philadelphia, Wein. Ich breche das Brot und spreche mit Gott. Es ist ein bischen wie das wonach es aussieht und es fühlt sich auch so an. Eigentlich wollte ich noch texten und es ist noch hell, aber ich beschließe mich hinzulegen und schlafen, da ich nicht weiß, ob es trocken bleiben wird und wann ich geweckt werde.

Um halb sechs werde ich wach, weil es tröpfelt und ich überlege kurz, ob ich einpacken soll. Es ist noch dunkel. Ich liege unter einem Baum und es kommt nur wenig durch. Ich packe also alles zusammen und in den Rucksack, ziehe die Schutzplane darüber und lege mich wieder hin. Jetzt würde ggf. nur der Schlafsack und ich nass.