Fazit meines Jakosbweges


In einem Abschiedsbrief vor gut einem Jahr hat meine ehemalige Frau Anja mir gewünscht, dass ich finde was ich suche. In der Trennungsfase hat sie mehrfach nach dem Warum gefragt und ich habe ihr dazu keine brauchbare Antwort gegeben und auch nicht geben können. Zehn Jahre waren wir zusammen. Die meiste Zeit davon in der Friedrichstraße. Fast fünf Jahre verheiratet. Anja war gut zu mir und für mich. Warum wollte ich nicht weiter mit ihr zusammen sein? Darauf gibt es bis heute keine vernünftige oder nachvollziehbare Antwort. Mit das größte Leid wird das Fehlen einer solchen Antwort sein, dass bis heute im Unklaren sein über das Warum, verbunden mit der Frage, warum wir nicht erst geredet oder gezankt haben bevor es zur Trennung kam. Es war doch alles in Ordnung. Kein böses Wort, bis heute nicht! 

"Ich hoffe Du findest, was Du suchst!" hat sie geschrieben. Und dieser mit Sicherheit ehrlich gemeinte Wunsch treibt mich bis heute um. Er ist Grund und Anlass, warum ich unterwegs bin. Die Frage ist, was suche ich.

Wer nicht fragt bleibt dumm, so singen die Kinder und wer nicht sucht, der findet nicht. Quatsch! Wir finden ständig etwas, auch wenn wir nicht gesucht haben. Oder suchen wir ständig und merken es nur nicht?

Ich habe während der Vorbereitung auf meinen Weg versucht, mir ein paar Fragen zu stellen auf die ich während des Weges nach Antworten suchen wollte. Das war nicht leicht. Und am Ende bin ich froh, keiner konkreten Fragestellung gefolgt zu sein. Wenn ich fünf Mark in einem Sandhaufen verstecke und jemandem sage, da sind fünf Mark drin, dann sucht er genau so lange, bis er die fünf Mark hat. Hätte ich also zwei mal Fünf Mark versteckt, so könnte ich nun sicher sein, dass die zweiten nie gefunden würden. Ohne die konkerte Suchanfrage wäre das sicher anders ausgegangen. Beim zufälligen Finden des ersten Fünfers, hätte der Finder vermutlich noch eine Weile weitergesucht, ob da noch mehr drin ist. 

Ich jedenfalls habe so viel mehr gefunden auf meinem Weg, als hätte suchen können. Aus meinem Tagebuch gehen viele Dinge hervor und viele andere sind nicht geschrieben weil auch dazu irgendwann die Zeit nicht mehr reichte. Die Menschen auf dem Camino sind mit sehr sehr unterschiedlichen Motiven, Wünschen, Zielen, Hoffnungen unterwegs. Ich wünsche allen von herzen, dass Sie finden was sie suchen und vielleicht sogar mehr als das. So wie ich. Ich war nicht unterwegs um Freude zu finden oder Bekannte. Daher habe ich auch vermieden nach Namen und Handynummern zu fragen. Ich bin selber ebenfalls unbekannt geblieben und bleibe daher auch bei allen andern allenfalls eine Erinnerung. Niemanden werde ich je wieder sehen. In meinem Tagebuch erwähnt habe ich nur einige besonders prägende, interessante oder eben einfach oft auftauchende Peronen erwähnt. Von manchen wusste ich meiste zufällig den Namen, von anderen eben nicht. Das hier sollte ja auch kein Facebook werden. Sicher wäre es interessant den einen odere anderen später einmal wieder zusehen, alleine für die Frage: Und, hat dein Camino dir gebracht was du gesucht hast? Auch Menschen von früher so aus der Schule oder dem Berufsstart würde ich gerne einmal wiedersehen. Aber eigentlich steckt da nur die Neugierde hinter, deren Lebensweg mit meinem zu vergleichen und abzuwägen, wer mehr erreicht hat. Ist gar nicht wichtig, weil ich zufrieden bin.

Würde ich noch mal tun. Nein.
Würde ich es wieder tun. Ja, sofort.
Wenn ich mit 79 bei guter Gesundheit bin, dann würde ich spanisch lernen und mein englisch auffrischen und ein paar Vorbereitungen treffen um im Frühjahr 2052 den Camino erneut zu gehen. Dann ist so viel Zeit vergangen, dass es ein zweites erstes mal sein würde.

Um Anjas Wunsch aufzugreifen:
Ja, ich habe gefunden was ich gesucht habe. Auch wenn ich vorher nicht wusste, was ich suchte, so habe ich viel mehr gefunden, als ich zu finden hoffte. Insbesondere mich selbst.

Amen.